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Zum Thema "Angst"

christian, 10.10.2011 13:24:56

Angst, ein Thema, das uns alle -so wage ich mal zu behaupten- uns alle betrifft. Ich werde aber keine Philosophie und Psychologie diesbezüglich hinschmeißen, sondern einfach zugeben, dass das Thema Angst, eine ganz existenzielle Bedeutung für mich hat, nämlich im alltäglichen Leben, im Leben, damit fertig zu werden. Das ist genug Angst, weiteres bedarf dem vorerst nicht mehr hinzugefügt werden. Angst, Angst, Angst. Und die Angst vor der Angst. Da kann "man" sich essentiell ausbreiten, und den Strudel zum Sprudeln bringen lassen... ein Versuch. Angst deswegen, weil Angst. Punkt.

  • martin, 10.10.2011 13:31

    Die Angst vor der Angst stell ich mir fast unangenehmer vor wie die Angst von einem Auto überfahren zu werden, oder die Angst Fehler zu machen, die Angst nicht zu gefallen usw.

    Sind das 2 unterschiedliche Ängste, die Angst vor der Angst und die Angst vor der Welt?

  • christian, 10.10.2011 15:13

    Es besteht die Möglichkeit der Differenzierung auf einer bestimmten Ebene, aber im Grunde genommen bleibt es Angst. Ob da jetzt die Archetypen auch etwas damit zu tun haben, also ich weiß nicht... da müsste man fast schon wieder wo nachblättern.... Voll schwierig für mich, bei einem Thema zu bleiben, und das zu zerpflücken. Das bedarf mächtiger Konzentration, so scheint es mir zumindest, und es scheint mir auch so, dass manchmal die Faulheit stärker ist als diese Kraft, mit der dieses gelingen möge... Nun gut.

  • martin, 11.10.2011 10:57

    ad "Angst als Motor"

    Angst kann doch auch ein Motor sein, nicht nur die Bremse. Viele Menschen flüchten aus Angst vor Repressalien (umgangssprachlich "das Ausüben eines gesellschaftlichen Druckmittels ohne juristische Legitimation, als Instrument der Unterdrückung." ... als wäre es leichter auszuhalten juristisch legitimiert unter Druck gesetzt zu werden, tss) aus ihrer Heimat, ihrem Job, ihrem bisherigen Leben. Diese Angst ist damit aber der Motor zur Veränderung, in der Hoffnung dass diese zum individuell Besseren führt.

    Andererseits kann Angst auch lähmen, was im Falle eines nahenden Hais durchaus als lebensbejahend zu betrachten ist. Doch auch wir sind für gewöhnlich wohl eher Fluchttiere, unsere Angst macht uns Beine (leider keine Flossen, was im Hai-Beispiel wohl hilfreicher wäre).

    Nun, woher kommt das Wort "Angst"? ... wikipedia meint von anghu (indogerm. „beengend") verwandt mit lateinisch angustus bzw. angustia für „Enge, Beengung, Bedrängnis“ und angor „Würgen“.

    Es wird uns also zu eng, bevor wir Angst bekommen, Enge und Bedrängnis lösen Angst aus. Wobei diese Enge entweder zur objektunbestimmten Angst (lateinisch angor) oder zur objektbezogenen Furcht (lateinisch timor) führt. Im Sinne der Angststörung sprechen wir wohl von angor, also nicht objektbezogener Angst (kein Hai in "Sicht"). Doch, was bestimmt die Sicht, die Objektbezogenheit? Wohl doch die Wahrnehmung, sei es die sinnliche oder die "übersinnliche". Ist jetzt die Unordnung in der Gehirnchemie allein der übersinnlichen Angst zuzuordnen? Ich denke nein, wenn mir Menschen von Stimmen oder individuell erlebten Bedrohungsszenarien die sie begleiten erzählen, so sind das doch sehr sinnliche Wahrnehmungen (hören, sehn, spüren, schmecken, riechen). Nun, nur weil deren Mitmenschen diese "sinnlichen" Wahrnehmungen nicht wahrnehmen, kann man noch nicht als gegeben nehmen, daß der Quell dafür ein "eingebildeter" sei. Der Hund hört auch die Hundepfeife deren Freuquenz unser Gehör nicht (wissentlich) ausmachen kann. Ist die Hundepfeife deshalb stumm? Wir sagen nein, weil wir akustische Frequenzen messen können und daran ablesen, daß die Pfeife doch pfeift, obwohl wir sie nicht hören. Welches Meßinstrument haben wir für Angst? Das ekg zb. zeigt uns doch ganz konkret die auftretende Angst, aber wir interpretieren sie als Fehlfunktion weil es ja keinen "Grund" gibt für die unvermittelt aufkeimende Angst mancher. Warum? Weil der Gott in Weiß nebenan diese Angst nicht nachvollziehn kann und damit determiniert, Angststörung, ängstlich, furchtsam. Nun, vielleicht sind wir alle aber nur Pfosten die gar nicht merken, wie sich ihnen die Schlinge um den Hals zuzieht, vielleicht merken wir nicht (oder wollen nicht merken) was offensichtlich ist. Warum macht es uns keine Angst, daß wir zu den paar Prozent konsumverwöhnten Erdenbürgern gehören die auf Kosten des restlichen Pöbels ihren Lebensstandard beständig ausbauen und das noch als Ziel und höchste Errungenschaft unseres Kulturkreises postulieren. Wir wären doch alle hochgradigst suizidär würden wir sowas wie eine speziesübergreifende Kollektivität beherzigen, welche die Empfindung und Befindlichkeit des einen im anderen als wiedergespiegelt akzeptiert. Wir schmunzeln über Thesen wie morphogenetische Resonanzen (Rupert Sheldrake) zwischen Haustier und seinem Herrl, aber was das umgemünzt auf ein im Sudan verhungerndes Kind und jeden einzelnen von uns hier im fetten Westen bedeutet, können wir nicht mal anfangen zu denken. ... und manche tun es vielleicht doch, entfleuchen dieser "gemeinsamen Basis" nicht auf den Schwingen des Konsums und tauchen ein in ihre Veranlagung als Gesamtheit Mensch, nehmen auf was in dieser Gesamtheit wirksam ist an Ängsten und Leiden und entwickeln daraus das einzig schlüssige Postulat: das ist beengend, erdrückend, widerwärtig und abscheulich, das macht mir Angst. Mit der Folge: Diagnose Angststörung; diagnostiziert von einem, der um nichts anderes Angst hat als um sich selbst, seinen Status, sein Ansehn, sein Auskommen und seinen Wohlstand. Im Buddhismus gehts um die Befreiung vom Ich-Empfinden, warum wohl? Darum. Weil der Arzt genausowenig ein für sich isoliertes Ich ist wie der angstgeplagte Paranoiika, das hungernde Kind im Sudan oder der vermeintliche Gottestkrieger. Wir sind alle eins, des einen Ängste wirken auch im anderen. Nur bewirken sie vielleicht nicht was wünschenswert wäre, Mitgefühl, Mitleid, sich selbst zurückstellen.

  • christian, 11.10.2011 21:07

    Mit Begeisterung habe ich diese Ausführung gelesen, weil Sie schlicht und einfach "human" ist.

    Aber ich muss gleich dazu sagen, dass ich selbst (und da wieder hier die Angst) sehr unsicher bin, ob ich mich verständlich ausdrücke. Es ist ja immer etwas "dazwischen", zwischen dem Sender und dem Empfänger. Und meine Angst beruht ganz einfach auf der Ebene, nicht verständnisvoll begegnet zu werden. Im Übrigen: Angst als Motor, auf alle Fälle, nur weiß ich, dass, wenn es dieses Fluchtverhalten nicht gibt, oder das dem sich stellen, man auf der Stelle tritt, und dann dieser Mandelkern in unseren Köpfen schnelle Aktionspotentiale???? (keine Ahnung ob dies der richtige Ausdruck dafür ist) abfeuert. Deswegen kommt es dann ja oft bei Situationen wo wie flüchten oder kämpfen sollen zu Traumatisierungen. Ich persönlich identifiziere mich sehr stark, mit dem nicht "weg" können, aber auch nicht "kämpfen" können.... mein liebstes Bild dazu ist folgendes: Geborgen und Gefangen.

    Man bleibt also stehen. Tritt auf der Stelle, und bleibt.. ja, auf der Stelle. Deswegen auch sehr bedrohlich.... umso eher kann ich mir auf einmal vorstellen, dass man wirklich eine Angst vor der Angst entwickeln kann... weil ja von sich aus schon bedrohlich, wenn man annimmt, dass ein Trauma (ich verwende den Begriff jetzt einfach einmal so) schon sehr früh "angelegt" worden ist... Aber gut. Ich merke schon wieder, dass meine Gedanken schneller sind als mein 10-Finger-System. Aber gut. Es gibt dann noch diese "ganze spirituelle Dimension".... denn warum ist jemand dispositioniert, warum nicht.... aber was mich vor nicht all zu langer Zeit beeindruckt hat, war folgender, ungefähr so im Wortlaut lautender Satz: "Ich glaube jeder Mensch bekommt das richtige Werkzeug mit" um seine Lebensaufgabe konstruktiv angehen zu können...

  • martin, 11.10.2011 22:16

    genau, und welches tool braucht wohl der, dessen Lebensaufgabe es ist Spezialist in Sachen Angst zu sein?

    Geborgen und Gefangen, find ich sehr stimmig, dieses Bild (wobei ich am ersten Blick geboREN und gefangen gelesen hab und auch zustimmend nickte, da sollt ich wohl nachdenken drüber). Geborgen im Exil szsg. ... ein schöner Buchtitel.

    Zum Verständnis, tja, das ist immer das Ding. Aber da haben sich schon viele den Kopf drüber zerbrochen, zb. Schulz von Thun - Miteinander Reden 1+2, Standardlektüre in der Sozialbranche. Das Empfängerohr entscheidet was gesagt wurde, nicht der der mitteilt. Geschriebenes hat da aber eine zusätzliche Dimension, find ich, weil der Sender fixiert was er wie sagt und sich damit mehr selbst reflektiert. Und überhaupt, was wir sagen wollen wissen wir uU gar nicht, weil wir ja nur denken könne wofür wir Begriffe haben, alles andere befremdet uns. Aber daß Begrifflichkeiten das Sein beschreiben erscheint mir ohnedies als naiver Ansatz, da hat das Erleben doch noch einiges mehr an Potential.

    Ich glaub, das mit dem Fluchtverhalten ist eine reine biosystemisch Angelegenheit, schnell abzuhauen erfordert deutlich weniger Energieaufwand wie eine erbitterte Konfrontation. Das ist mehr Instinkt als Flexibilität. Selbst bei den Viechern ist das so, Kämpfe gibts nur in der Brunftzeit, das hebelt dann der eine Instinkt (Fortpflanzen) den andern (Kräfte sparen) aus. Hehe.

    Und Traumata, im Sinne unbewältigter - verkapselter - Erlebnisse und Eindrücke möcht ich auf keine Fall banalisieren, im Sinne der Betroffenen, aber irgendwo haben wir die alle. Spätestens in der Ausernandersetzung mit Reinkarnation und Karma wird das deutlich. Das sind wahrscheinlich auch so heimliche Motoren und Bremsen, je nachdem.

  • christian, 12.10.2011 06:20

    Der Mut ist es....

    Ich glaube dass es für das Verständnis wichtig ist, wieviel und in welcher Qualität diese Traumata erfahren wurden. Ein kurzes Beispiel: Wenn jemand innerhalb kürzester Zeit einen Haufen von so Traumata ansammelt, dann "schmeißt" es denn dann irgendwann einmal.... Hingegen, wenn jemand -sagen wir- ein Trauma erfährt, dass nicht so tragisch (relativ, ich weiß) ist, kommt man schneller und leichter damit klar.

    Könnte da noch mehr in die Tiefe gehen, aber ich glaube, dass ist schon mal gut so, wie ich es geschrieben habe...

  • martin, 12.10.2011 08:40

    Wenn ich das noch richtig in Erinnerung hab, bereitet sich der Nährboden für ein Trauma per Definition dort auf, wo man mit gewohnten Bewältigungsstrategien nicht weiterkommt und zum Notfallprogramm, zur Überlebensstrategie umswitched. Es geht also um Bedrohungsszenarien individueller oder kollektiver Natur. Bei unsere Großelterngeneration zb. kann man durchaus von kollektiver Traumatisierung durch das Erlebte in den Weltkriegen sprechen. Und dann gibts die man-made Traumas, die entstehen oft durch Bezugspersonen, oft im frühen Lebensalter. Weil man als Kind natürlich noch weit weniger Bewältigungsstrategien hat denn als Erwachsener. Aber sei es wie es sei, sowas führt zur Mutlosigkeit, da stimm ich dir zu. Wenn man weiß, daß man jederzeit ausgeliefert ist weil man nicht die notwendigen Bewältigungsstrategien für, für möglich oder wahrscheinlich gehaltene, künftige Erlebnisse hat, macht einem das definitv fertig. Da hälfe (ich will das jetzt mit ä schreiben) nur die Flucht, aber vor sich selbst kann man schlecht flüchten. Das ist verzwickt.

  • christian, 12.10.2011 10:08

    Mir sagte jemand folgendes: Flüchten Sie mit Ihren Beinen, nicht mit Ihren Kopf.

    Problem ist halt wieder nur, wenn einem die Beine gebunden sind...

  • martin, 12.10.2011 12:44

    mhm, das spricht für viel spazierengehn und Handstand üben.

  • christian, 12.10.2011 18:14

    Exakt. Man könnte auch "pilgern" dazu sagen. Aber was du mit dem Handstand meinst, das entzieht sich meiner Kenntnis.

  • martin, 12.10.2011 19:42

    naja, wenn man fit im Handstand/Handgang ist, hat man eine Strategie falls einem wiedermal die Beine gebunden sind.

  • christian, 13.10.2011 02:05

    Okay, dann habe ich es ja eh richtig verstanden. Aber ich wollte mich nicht irren, und so habe ich nachgefragt... Fragen ist glaube ich immer gut, also fast immer, es sei denn, es handelt sich um Fragen, die eine gewisse "Peinlichkeit" vermuten lassen. So etwas kann natürlich auch einmal passieren. Deswegen ja manchmal die Unfähigkeit zu fragen bei mir, aufgrund - wieder einmal- der Angst. Aber es gibt immer wieder mutige Beispiele, die sich nicht scheuen zu fragen, ist mir erst unlängst bei einer Veranstaltung aufgefallen... Aber eh nicht so spektakulär dass ich es weiter ausführen möchte...

  • martin, 13.10.2011 11:17

    ... los, führ aus. Du kannst mich nicht neugierig machen und das Thema wechseln.

  • christian, 13.10.2011 11:41

    Das sagt mir eine sehr bekannte Person auch immer zu mir, dass ich immer "neugierig mache" und dann das Thema aber wechsle... Dürfte wohl irgendein bestimmtes Gen bei mir sein, dass das so macht.... hihihihi

  • christian, 13.10.2011 11:43

    Ein Prof hat 1,5 h über Stigmatisierung gesprochen, und dann ist die Frage aus dem Publikum gekommen, also nach den 1,5 h, wo es nur um Stigmatisierung ging, was denn "Stigma" heißt. Genial war dieser Typ. So einer möchte ich auch sein... Einfach nicht soviel Angst haben und raus mit dem was da ist...

  • martin, 13.10.2011 13:59

    hehe. Stimmt. Und konnte er ihm die Frage verständlich beantworten?

  • christian, 13.10.2011 14:19

    Naja, er hat zunächst mal gesagt, dass er Griechisch im Gymnsaium gehabt hat, währendessen ist mir aber irgendwie der Gedanke gekommen, dass Stigma soviel wie "befleckt" heißt, naja, weiß jetzt nicht ob es das wirklich auch so heißt, und ich weiß jetzt ehrlich gesagt auch nicht, was es laut seiner Definition heißt. Naja, eben halt "vorverurteilt", sehr frei übersetzt.

  • christian, 04.01.2012 17:29

    Achtung, Fortsetzungsgeschichte: Heute hatte ich Angst...