Texte

Eine Geschichte (mit erläuternder Einführung)

martin, 27.10.2011 00:08:07

Hiermit würde ich gerne eine "Geschichte" beantragen, eine fiktive Erzählung im Fluß mit Echtzeit-Charaktermorphose (oh, eine Neukreation!). Anführung realer Personen unerwünscht, Rückbezüglichkeiten unvermeidbar, Handlungsstränge frei entfaltbar. Ich starte mal ...

  • martin, 27.10.2011 00:24

    Gestern ist unser Hamster verstorben. Der ältere, Sweety. Das ist traurig. Auch der Kater ist traurig, hatte er ihn doch tagtäglich zum Fressen gern. Dennnoch, er ist lustlos, lethargisch, traurig. Er vermisst sein Objekt tagtäglicher Begierde. Der Arme.

    Noch ist er nicht beerdigt, der gute Sweety, das steht noch an. Auch die Kinder werden traurig sein, Verlust, Abschied, ... die düsteren Sphären des beständigen Wandels.

    Sweety war ein toller Hamster, ein schlauer Freigänger und unermüdlicher Laufradtretmühlensprinter. Sein Laufrad versorgte die halbe Stadt mit Elektrizität, manchmal gab es gar Ausfälle aufgrund von Spannungsspitzen. Wenn er wiedermal sauer auf seinen Nachbarn Henry war beispielsweise, oder im Futtertrog sich unliebsame Knabbereien fanden. Dann stieg er ins Laufrad und rannte los, rannte sich den Frust von der kleinen Hamsterseele. Der gute Sweety. Alle werden ihn betrauern. Im Dunkeln, bei Kerzenschein. Denn elektrisches Licht haben sie nicht mehr. Und die Leichensäfte die aus ihren Kühlschränken tropfen werden ihnen Zeichen sein, daß ein Wandel eingetreten ist. Etwas ist anders. Sweety ist nicht mehr. Das Licht ist ausgegangen.

  • martin, 27.10.2011 00:37

    Sie wundern sich sicher schon wer hier zu ihnen spricht, nun, mein Name ist Wandler. Manchmal bin ich Spannungswandler, mal Frustwandler, mal Lustwandler, machmal auch Torkelwandler. Aber immer bin ich im Wandel, mal hübsch gewandet, mal abgesandelt, mittels kleiner Kniffe wie verwandelt und trotzdem immer mit irgendeiner Instanz verbandelt. Sie halten das für einen Scherz, kann ich mir vorstellen. Nun, es ist keiner. In diesem Moment wurden Sie verwandelt, so wie sich der gute Sweety in Kürze zum Gerippe wandelt. Sie meinen das ist makaber? Da wag ich aber, den Einspruch des trefflichen Bildes, man richte den Blick aus Sicht der hier wirksamen Fliegenmaden und hämoglobinzersetzenden Bakterien auf die Begebenheit. Aber gut, ich gebe zu, ein als makaber zur vermessendes Bild.

  • martin, 01.11.2011 18:17

    Henry, der Jüngere ... der zweite Hamster, ist über den Verlust schon hinweg. Er hat eine Wohnetage hinzugewonnen durch Sweeties Ableben, ganz wie im richtigen ... fallweise nichtigen, Menschenleben gemäß der Erbfolge. Es sei ihm gegönnt. Stetig ist der Wandel.

  • martin, 13.11.2011 21:30

    ... aber zurück zu Ihrer Verwandlung. Haben Sie diese mittlerweile bemerkt? Sind sie sich schon bewußt? Was heißt das, Bewusst-Sein? Bewusst im Sein sein. Wissentlich ontologisierend im Sein sein. Was ist Sein, was bedeutet es zu sein? Das Sein. Ich bin. Du bist. Wir sind. Ist das Sein? Sei es wie es sei, seinerlei. Sie meinen hierin außer Wirrsal nichts entdecken zu können, nun, Wirrsal, Verwirrtheit, Kopfschütteln. Täten Sie dies ohne diesem wirren Text hier? Sehn Sie, verwandelt. Ver-Wandelt. ...harrhar.

  • martin, 13.11.2011 22:17

    "Tristan.", sagte Dr. Rolfh mit ruhiger Stimme, "ich zähle jetzt bis 3, dann sind sie wieder wach, 1, 2, .." ... wars das schon? Ooch, da bin ich wieder. "Tristan, ich meine sie spielen mit mir!" ... eigentlich sollte er hier liegen. Er denkt ich täusch ihm das Ausgeknipstsein vor, der Gute, ich will ihn mal nicht ent-täuschen. "Ich sag ihnen doch, das klappt nicht bei mir". "Sie dürfen sich nicht wehren, Tristan. Sie müssen es wollen. Lassen sie sich drauf ein! Dann kommen wir auch voran." " Gut Doc, ich werd mich fürs nächste Mal bemühen, ich will es doch auch" ... oh Mann.

    Eigentlich ist Rolfh, mit H hintenan, gar nicht so übel. Er bemüht sich redlich, tut sein bestes aber ist Sklave seiner Mittelmässigkeit. Von mittelmässigen Lehrern und Professoren zum mittelmässigen Assistenten befördert und über mittelmässige Vettern in mittelmässigen Oberschichtpositionen zum mittelmässigen Ordinationsvorsitzenden einer Gemeinschaftspraxis mittelmässig erfolgreicher und damit mittelmässig heilstiftender Berufstherapeuten für den Mittelstand. Vermutlich wähnt er sich am Zenit seiner Karriere. Aber er braucht Mißerfolge um sein Glück abzurunden, an zu gut verlaufenden Tagen wird er zerstreut, pingelig und beginnt gar das seinen Patienten umhängen zu wollen. Aber als durchschnittlich Therapieerfahrener weiß man damit umzugehn, schön dosiert anfüttern und hinterm Ohr kraulen, dann wirds wieder gut. Bis er merkt, daß er eben angeleint wurde. Das sind die kleinen Mißerfolge die auch im mittelmässigen Therapeutenalltag mal die Vollendung erahnen lassen, die Vollendung im absoluten Mißerfolg. Und damit einem Thema für die nächsten Paar supervidierenden Coachings. Wir Irren halten eine Industrie am Laufen, jawohl, wir sollten steuerbegünstigt werden, ach was sag ich, Orden sollten wir kriegen, die eisernen Kreuze der Arbeitsmartpolitik.

    ... was mag es wohl mit diesen Hamstern auf sich haben? Was hätte wohl Freud zu sterbenden Hamstern gemeint? Hm, manchmal denke ich, diese Hypnosetermine stellen etwas an in mir. Da wird das innere Mobiliar verrückt, am Dimmer gedreht und die Klimaanlage verstellt. Aber man soll nicht undankbar sein. Immerhin reichert diese wöchentliche Séance meine Kolumne immer mit allerlei Abstrusitäten an und sorgt damit gar für den Unterhalt. Refinanziert sich damit. Andere gönnen sich exklusive Drogen oder schnelle Sportwagen, schlechtes Gewissen scheint als Fehl am Platz. Aber genug damit, an die Schreibkugel und ab damit auf den Belletristik-Boulevard!

    Also, ein toter Hamster, ein glücklicher, obwohl natürlich trauernder, Erbe, Verwandlung, Stromgewinnung.... einigermaßen absurder Cocktail. Was lässt sich daraus stricken? Ein Krimi, ein Öko-Thriller, eine kafkateske Verwandlungsgeschichte, ein märchenhafter Zauber, eine homoerotische Liebesgeschichte, ein kühler Tatsachenbericht? Eine metaphorische Abhandlung im kunsthistorischen Kontext? Eine philosophische Masterthese? .... die Welt steht mir offen mit dir, in dir und durch dich, Seety!